03.07.2013

Die Last mit der Kritik

Wir alle müssen uns im Leben ständig mit irgendeiner Form von Kritik auseinandersetzen.
Wir müssen lernen, damit umzugehen. Lernen, daraus zu lernen und lernen, trotz allem weiterzumachen.
Besonders uns Künstlern, uns Schriftstellern, uns Malern und uns Fotografen geht es so.
Manchmal fällt es leichter, manchmal fällt es schwerer.
Je nach Tagesform. Je nach Stimmung.

Ja... Tja...

Obwohl ich wirklich glaube, dass es tagesform- und stimmungsabhängig ist, glaube ich genauso, dass die meisten Menschen absolut keine Ahnung haben, wie man richtig kritisiert.

Das ist auch kein Wunder, denn die Synonyme vom Duden zu "Kritik" sind:
Beanstandung, Bemängelung, Missbilligung, Tadel; (abwertend) Beckmesserei, Nörgelei; (umgangssprachlich abwertend) Gemecker, Meckerei, Begutachtung, Besprechung, Beurteilung, Einschätzung, [kritische] Würdigung, Rezension, Verriss.
http://www.duden.de/rechtschreibung/Kritik

Hauptsächlich ziemlich übel.
Da stellt sich mir die Frage, was eine Kritik denn eigentlich bringen soll.
Klingt eher danach, Frust abzulassen oder sich wie ein Lehrmeister aufzuspielen.

Und genau das ist meiner Erfahrung nach auch der gängige Gebrauch von Kritik.
Manche Leute verfallen regelrecht in die Rolle eines Oberlehrers. Vergeben Noten, merken Fehler an, die keine sind, sondern nur Geschmackssache. Vergleichen das Individuelle mit dem Üblichen und meinen nur, weil etwas anders sei, sei es schlecht.
Und die allermeisten lassen positive Dinge gänzlich aus der Kritik heraus.

Unnütze, falsche und sinnlose Kritik gibt es überall.
Man muss sich nur einmal Bewertungsplattformen im Internet ansehen.
Bis hin zu "Shitstorms" ist da alles dabei.

Aber darauf wollte ich eigentlich nicht einmal hinaus.
Wie bei allem, was es in der Welt zu verändern gibt, bin ich der Meinung, dass jeder erstmal bei sich selbst anfangen sollte.

Frag Dich doch mal, wie Du kritisierst.
Was ist Dein Ziel beim Kritisieren?
Ist Deine Kritik auf tatsächliche Fehler oder nur persönlichen Geschmack zurückzuführen?
Hat die Kritik dem anderen geholfen?
Würdest Du gerne so kritisiert werden?

Die Antworten kannst nur Du allein Dir geben und nur Du sollst sie evaluieren.
Dennoch würde ich Dir gerne erklären, was Kritik für mich bedeutet und wie man richtig kritisiert.

Kritik, konstruktive:

Ich habe einen Künstler-Kollegen, den ich schon lange Jahre auf seinem Weg begleiten durfte. Ohne zu viel zu verraten, und vor allem ohne zu viel Persönliches auszuplaudern, kann ich sagen, dass er seit damals gigantische Sprünge gemacht hat.
Nicht zuletzt dank konstruktiver Kritik seiner Werke. (Natürlich steht Eigeninitiative und Wille zur Verbesserung immer noch unantastbar an erster Stelle...)
Obwohl ich schon von Anfang an Fan seiner Kunst war, sind seine Arbeiten heute zu damals nicht zu vergleichen.
Das macht mich glücklich und äußerst stolz!
Und es bestätigt mich in meiner Annahme, dass konstruktive Kritik das Ziel sein sollte.

Willst Du nicht, dass jemand besser wird, kritisier ihn nicht.

Willst Du, dass jemand besser wird, kritisier ihn richtig!


Hier die Regeln für konstruktive Kritik:


1. Die oberste Regel lautet: Persönlicher Geschmack hat nichts in einer Kritik zu suchen. Als Randbemerkung, wenn man es nicht zurückhalten kann, gerne. Aber auch nur, wenn man ausdrücklich erklärt, dass es sich um persönlichen Geschmack handelt. Aber Geschmäcker sind so unendlich verschieden, dass sie absolut nichts in einer Kritik bringen.

2. Die zweitwichtigste Regel lautet: Das Positive muss immer wichtiger sein, als das Negative. Wenn irgendmöglich, versuche das Positive immer größer zu halten als das Negative. Du willst nicht, dass jemand demotiviert ist. Du willst, dass jemand sich motiviert verbessert. Besteht ein Werk aus 90% Fehlern, versuche die richtigen 10% so weit hervorzuheben, dass die 90% den Schaffenden nicht überfordern. Und ja, das ist bei jedem Individuum individuell!

3. Die drittwichtigste Regel lautet: Habe immer einen Ratschlag, wie man etwas besser machen kann. Wenn Du nicht weißt, wie man es besser machen kann, erwähne es nicht. Du musst genau wissen, wovon Du redest. Und wenn Du keine Lösung hast, weißt Du nicht genug und hast keinen Vergleich.

4. Bist Du Dir bei einem Fehler unsicher, mache Dich zuerst schlau. Google vermutete Rechtschreibfehler nach. Suche Referenzbilder, falls Du nicht weißt, ob Proportionen oder Perspektiven stimmen. Mach einen vermuteten Fehler nicht zum Problem des Schaffenden. Die Kritik ist Deine Verantwortung. Wie in 3.: Wisse, wovon Du redest.

5. Passe Deine Strenge an. Nicht jeder Schaffende ist gleich gut. Nicht jeder Schaffende ist ein Goethe oder Rembrandt. Dein Ziel sollte es sein, der Person zu helfen. Du hilfst ihr nicht, wenn Du von ihren Strichmännchen nicht viel hältst und erwartest, sie erschaffe ein Meisterwerk. Strichmännchen kann man auch verbessern, indem man ihnen ein Gesicht gibt! Oder einen Hintergrund. Oder gar eine Form... Es kommt einzig und alleine auf die Fähigkeit der zu kritisierenden Person an. Fordere sie heraus, aber überfordere sie nicht.

6. Setze Deine Meinung niemals über die des anderen. Es ist nicht Dein Kunstwerk. Es ist das Kunstwerk eines Menschen, der sich dabei etwas gedacht hat. (In den meisten Fällen jedenfalls). Einzig und alleine der Schaffende hat dazu das Sagen. Und ist er nicht Deiner Meinung in Bezug auf sein Kunstwerk, dann ist er(!) immer im Recht. Denn es ist sein Werk, nicht Deines. Und das muss es unbedingt bleiben.

7. Fehler sind nicht immer schlimm. Fehler können(!) auch Charakter gebend wirken. Einige der berühmtesten Gemälde der Weltgeschichte sind voller Fehler. (z.B. "Goethe in der Campagna" von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein). Satzstellung und Ausdrucksweise können variieren. Nicht immer muss ein "Satz" in einer Geschichte ein Subjekt und ein Prädikat haben. Wir schreiben keine Grammatik. Wir malen keine Fotos. Wir kreieren Traumwelten. In der Kunst ist alles frei. Kunst muss immer individuell angeschaut werden. Niemals pauschal.

8. Mache Dir unbedingt ein rundum Bild. Lass das Werk erst auf Dich wirken. Habe Techniken im Blick. Habe die Anmutungsqualität im Blick. Begutachte das Werk hinsichtlich dessen Zielgruppe. Außerdem: Nur mit einem rundum Blick kannst Du berechnen, wie sehr Du das Positive gegenüber dem Negativen hervorheben musst.

9. Behandle das Werk und den Künstler mit Respekt. Beachtet man alle anderen Punkte, ist dieser Punkt hier eigentlich überflüssig. Denke immer daran: Es ist nicht Dein Werk, es ist das Werk eines eigenständigen, individuellen Menschen.

10. Und weil es so wichtig ist: Es geht nicht um Dich, es geht um den Künstler. Du willst helfen. Du willst Dich nicht aufblähen. Du willst nicht um jeden Preis Deine Meinung äußern. Du willst Dich nicht wichtig tun. Du willst ganz einfach helfen. Und helfen kann man nur, wenn man sich auf den anderen und dessen Bedürfnisse einstellt.

Meiner Meinung nach ist diese Art von Kritik die einzig sinnvolle Kritik. Egal in welcher Lebenslage!
Viele Menschen tun sich unendlich schwer, sich in andere hineinzuversetzen oder sich auf andere einzustellen. Dabei ist das doch gerade das, was uns Menschen so besonders macht.
Also versuch es mal.
Versuche mal, jemanden konstruktiv zu kritisieren und schau, was dabei herauskommt.
Ziel ist es, jemanden Schritt für Schritt, in seiner eigenen Geschwindigkeit, besser zu machen.

Ich würde mich über Erfahrungsberichte freuen!!!!!!

Viele Grüße
Sam

2 Kommentare:

  1. Super, so hätte ich es auch formuliert - lebensnah und hilft wirklich.

    Nur eine Bemerkung zu Punkt 3: Nein, muss man nicht. Es geht einfach nicht. Manchmal merke ich, dass ein Satz nicht funktioniert, aber ich weiß nicht, warum. Dann ist es ok, dem Autor zu sagen: Irgendwas passt hier nicht, guck nochmal drüber. Vlt. weiß es ein anderer Testleser oder der Autor betrachtet den Sachverhalt nochmal und kommt von allein drauf.

    Wir haben als Kritiker die Verantwortung, Unstimmigkeiten aufzuzeigen - aber wir können sie nicht immer erklären - wir sind auch nur Menschen :-)

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    1. Hallo Evy, danke für Deinen Kommentar!!! :)

      Zu Punkt 3:
      Wenn man keinen Vorschlag hat, bzw. nicht weiß, warum etwas nicht stimmt, man es aber dennoch anbringen möchte, dann sollte man dies unbedingt unter Vorbehalt tun.
      Dann bleibt es dem Künstler überlassen, andere Meinungen einzuholen.

      Ich mache einfach immer wieder die Erfahrung, dass mir jemand sagt "dies und das stimmt nicht" und mir nicht einmal erklären kann warum. Und ich sitze dann da und denke, ich habe etwas falsch gemacht, obwohl das wohlmöglich überhaupt nicht stimmt.
      Keinen Vorschlag zu haben ist für viele einfach eine perfekte Ausrede, um unüberlegt zu kritisieren... und das ist keine gute Kritik.

      Deswegen, ich plädiere für absoluten Vorbehalt ;)

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